Samstag, 23. Januar 2010

Lost in Paradise

Es ist schon komisch manchmal. Die Bandbreite, die man hier erlebt. Zwischen Einsamkeit und Massenabfertigung, Palmen-Paradies und „Todesangst“ (ja, das ist etwas übertrieben, aber vielleicht versteht ihr später was ich meine). Heute, so habe ich das Gefühl, haben wir alles an einem Tag erlebt.
Unsere Unterkunft in Hahei auf der Coromandel Halbinsel ist ein Traum, ein echter Ort, um zur Ruhe zu kommen. Nachdem wir gestern die eher unangenehme Erfahrung eines Stadthostels gemacht haben, haben wir in Hahei mit einem älteren Ehepaar zusammen gewohnt, dass uns ihre Einsiedlerwohnung vermietet hat. Wohnzimmer, Bad, zwei Schlafzimmer – alles nur für uns. Ich habe tatsächlich Nachrichten im FERNSEHEN geschaut und danach haben wir beim abendlichen Foto-Aussortieren Herr der Ringe in den DVD-Player geworfen, eigentlich nur um zu sagen, dass wir seit unserem letzten Kinobesuch mal wieder einen Film angeschaut haben.
Nach neun Stunden Nachhol-Schlaf von der kurzen Nacht vorher, sind wir erst zur schönen Cathedral Cove aufgebrochen und wollten uns dann im Anschluss ein Loch am Hot Water Beach buddeln. Die Besonderheit des Strands: Unter dem Sand brodeln heiße Quellen und wenn man bei Ebbe gräbt, buddelt man sich seinen eigenen Whirlpool. Wir waren aber wohl nicht die einzigen die diese Idee hatten… an diesem traumhaft sonnigen Sonntagnachmittag hat uns der Strand mehr an Mallorca als Neuseeland erinnert – ALLES VOLLER MENSCHEN! Die haben sogar so dicht an dicht gebuddelt, dass die einzelnen Pools in sich zusammen gebrochen sind…
Ich glaube wir waren nicht mal zehn Minuten da, bevor wir uns entschlossen haben weiter zu fahren. 50 Kilometer nördlich sollte der New CHums Beach, angeblich die schönste Bucht der Nordinsel (behaupten Reiseführer) liegen. Ich wusste, dass der Strand nicht direkt, sondern nur nach 45 Minuten Spaziergang erreichbar ist. Aber dass es sich um eine solche Abenteuerwanderung handeln würde, hätten wir wohl alle nicht gedacht. Vor allem nicht die Jungs, die in Flip Flops unterwegs waren… die beiden sind nämlich optisch nicht mehr von den Kiwis zu unterscheiden: Egal welches Wetter ist, sie tragen Flip Flops, kurze Stoff- oder Sporthosen und T-Shirts… meistens noch Sonnenbrille. Echt Kiwi-Style, sweet as!
Naja, jedenfalls ging die Wanderung erst durch knietiefes Wasser (ich fand die Strömung super krass – und wäre fast mit Kamera ins Wasser gefallen, aber darauf komme ich gleich noch mal zurück), dann mussten wir über Steine klettern und dann steil über Baumwurzeln in den Wald. Ich fand uns sehr sportlich. Spaziergang ist anders. Danach ging’s durch dicht bewachsenes Waldgebiet aus Palmen und Farn zu einem weißen Sandstrand. New Chums Beach. Nach über einer Stunde Weg… Ich hab mich gefühlt wie in der Bounty-Werbung. Gibt’s die eigentlich noch? Mit Palmen und Sandstrand und südseemäßig. Wirklich schön.
Lang sind wir nicht geblieben – wir hatten Angst, die Strecke im Dunkeln zurück zu müssen… also ging’s wieder zurück… über Stock und Stein und Wald. Nur war die Wasserstelle, die wir am Anfang durchquert haben, war durch die Flut inzwischen mehr ein See. Und dann kam der Moment, in dem ich uns alle in Lebensgefahr gebracht habe. Glaubt ihr nicht? Doch. Irgendwie schon.
Ich wollte nämlich gucken, ob es einen Weg gibt, den Meerzufluss mit der für mich starken Strömung zu Umlaufen und habe die anderen erst durch Sumpfland getrieben und als wir dort nach dreißig Minuten vor einem Zaub standen, habe ich die anderen überredet drüber zu klettern. Meine Güte, das macht man in Neuseeland so, habe ich gedacht. Ich meine nach so viel Buschwanderung, Sumpfmorast und vollständig eingesauten Klamotten, geht’s halt nicht anders. Der Besitzer des Farmlands das wir also zugegeben nicht ganz legal betreten haben, war aber dann doch mega gruselig. Offensichtlich hatte er uns die ganze Zeit vom Eingang seines Hauses am Ende der Wiese beobachtet – und als ich rüber gebrüllt habe, dass wir uns verlaufen haben, dass es mir sehr sehr Leid tut und dass wir sofort weg sind hat er nicht reagiert. Gar nicht. Auch ein weiterer verzweifelter Sorry-Ruf blieb unbeantwortet. Da ich etwas ratlos war, habe ich Jörn recht schnell über einen Bach geschubst, der uns noch von der Straße trennte… ganz schön abenteuerlich. Hinterher musste ich seinen Flip-Flop aus dem Matsch angeln. Auch dabei hat uns der Mann beobachtet. Er hat sich nicht bewegt, die Hände nur in die Hüften gestützt und gestarrt… gruselig. Als wir über die holprige Farmzufahrt den Weg zur Straße gesucht haben, war uns echt mulmig. Stromzäune mit Warnschildern, was hier total untypisch ist, kreischende Pfauen und die einbrechende Dunkelheit haben mir ein echt schlechtes Gewissen gemacht. Wäre ich durchs Meer geschwommen hätte ich das Jörn und Rob nämlich alles erspart. Als wir endlich am Ausgang der Farm waren wurde es aber erst richtig beängstigend: Ein Warnschild neben dem anderen: Betreten verboten, Hunde werden erschossen, „armed response“ – außerdem mehrere Schilder mit den Giften, die auf dem Farmland verteilt sein sollten… da waren die Possumfallen, die ich gesehen habe, wohl die kleinste Gefahr… sowas habe ich jedenfalls noch niemals irgendwo gesehen schon gar nicht in Neuseeland. Dass der Typ nicht seine Schrotflinte rausgeholt hat, war alles.
Zwei Stunden später waren wir endlich am Auto. Da konnten wir uns dann kaum vorstellen, dass wir vorher noch am paradiesischen New CHums Beach gestanden hatten und am Mittag noch in der Touri-Hölle waren. Wie dicht hier alles beisammen liegt… was ein Abenteuer. Und Angst hatte ich schon etwas. Vorsatz des Tages: Nicht mehr rumjammern wegen knietiefen Meerzuläufen.

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